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Fremde Bilder

Ein Bild ist mehr als gesehen wird. Diese triviale Feststellung hat in den Zeiten digitaler Bildverarbeitung eine besondere Bedeutung. Die Entwicklung dieser Techniken hat den Wahrnehmungsraum, den das fotografische Bild für sich konstruiert, um Dimensionen erweitert, die den Wahrnehmungsapparat des Menschen überschreiten. Der originäre Erlebnisraum wird durch einen sekundären Wahrnehmungsraum erweitert und zum Teil ersetzt: Das Bild ist zu einer eigenständigen Realität geworden. Einen wesentlichen Anteil daran hat die digitale Revolution, in der sich die Eigenständigkeit des fotografischen Bildes von einem analogen Medium in das digitale Konzept wandelte.

Die Fotoarbeiten von Caroline Dlugos sind auf unterschiedlichen Ebenen konkrete Darstellung und inhärente Kritik dieser Entwicklungen. In der Darstellung rekurrieren sie dabei auf einen klassischen Topos der abendländischen Malerei, den der Landschaftsmalerei. Die Landschaftsdarstellungen von Caroline Dlugos, deren Grundlage eine Pleinair-Fotografie anstatt der Pleinair-Malerei ist, erweisen diesen Topos als ein spezifisches Instrument der Wahrnehmung und Interpretation, wobei sich beides sowohl auf eine direkte Wahrnehmung als auch eine durch Medien vermittelte Wahrnehmung bezieht. In dieser Vermittlung verbinden sich klassische Malerei, analoge Fotografie und digitale Bildkonstruktion zu einem Komplex, dessen Elemente aufeinander verweisen und sich gegenseitig kommentieren. Die Manufaktur der Malerei findet ein technisches Gegenbild in der analogen Fotografie, dessen Weiterbearbeitung in den künstlichen Welten heutiger computergenerierter Bilder endet. Natur wird mit der Hilfe technologischer Mittel abgebildet. In dieser Umsetzung sieht die Künstlerin eine Analogie zu heutiger Gentechnologie, bei der ebenfalls das Natürliche reproduziert wird: „Es lassen sich Analogien herstellen zwischen einer Computersprache und der Informationskette in einem Gen. Die Gentechnologie ist inzwischen so weit, daß sie einen Gentext entziffern und umschreiben kann. Sie kann damit möglicherweise „heilsame“ aber auch fatale Prozesse in Bewegung setzen. Ich versuche, diese weitreichende Problematik in meinen Bildern systematisch durchzuspielen. Dafür benutze ich Computerprogramme, die – in Analogie zu Gentexten – Planzenstrukturen digital konstruieren. Dabei können mehr oder weniger detaillierte botanische Vorgaben zu Grunde gelegt und entsprechende Simulationen von Pflanzenwachstum unter Einbeziehung von Zufallsfaktoren erzeugt werden. Diese künstlich erzeugten Pflanzen werden in die ursprünglich fotografisch – d.h. analog – aufgezeichnete Landschaft transplantiert.“1) Es entsteht dabei ein Bild, in welchem sich die Grenzen zwischen Natürlichem und Künstlichem aufheben. Der Betrachter selber ist aufgefordert, diese Grenze zu identifizieren, wobei er feststellen wird, daß er sich damit auf der grundlegenden Scheidelinie zwischen Fiktivem und Realem bewegt. Unter dem Stichwort der Simulation ist diese Scheidelinie zu einem Thema postmoderner Philosophie geworden. Jean Baudrillard schreibt dazu: „Heutzutage funktioniert die Abstraktion nicht mehr nach dem Muster der Karte, des Duplikats, des Spiegels und des Begriffs. Auch bezieht sich die Simulation nicht mehr auf ein Territorium, ein referentielles Wesen oder auf eine Substanz. Vielmehr bedient sie sich verschiedener Modelle zur Generierung eines Realen ohne Ursprung oder Realität, d.h. eines Hyperrealen.“2) Nichts entgeht diesem Raum des Hyperrealen, seien es Menschen, Bilder oder Natur. Dennoch sieht Baudrillard einen Ausweg: Zum einen mit Strategien der Simulation auf die Simulation, der Ekstase des Realen im Hyperrealismus zu antworten. Zum anderen in der Neutralisierung des Scheins in der Verführung und das heißt im Spiel mit dem Scheinhaften. In den Arbeiten von Caroline Dlugos lässt sich dieser Gestus der Verführung, das Spiel mit dem Schein entdecken. Das Sichtbare in ihnen ist zweideutig, ambig, ein Komplex natürlicher und künstlicher Bildweiten, die auf klassische und zeitgenössische Bildmuster verweisen. „Verführung läuft über leere, unleserliche, unauflösliche, arbiträre und unvorhersehbare Zeichen, die kaum auffallen und die die Raumperspektive verändern.“3) Das trifft auf den Foto-Zyklus ‚Aus fremden Gärten‘ von Caroline Dlugos zu, der in seiner irritierenden Schönheit fremder, ungewohnter Bilder den Betrachter anzieht und verführt. Als Bild real und gleichzeitig sich in der Betrachtung als Schein erweisend, nehmen diese Werke eine Dekonstruktion des Realen vor, die dennoch den Traum von einer Natur jenseits der Simulation und der Konstruktion wach hält.

Thomas Wulffen, Ausstellungskatalog „Aus Fremden Gärten – From Strange Gardens“ Goethe Institut Atlanta, München-Atlanta 1996

1) Caroline Dlugos (unveröffentlichtes Statement, 1995)  •  2) Jean Baudrillard: Agonie des Realen, Berlin 1978, S. 7  •  3) Jean Baudrillard: Laßt euch nicht verführen!, Berlin 1983, S. 39

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[…] „Aus der Kombination von Computerbearbeitung und Photographie ergeben sich paradoxerweise Referenzen an die Malerei. Sie sind eingeräumt und gesucht, denn als Inspriration dienten Gemälde von Caspar David Friedrich oder Francis Bacon. Was in der Malerei mit Nachahmung der Natur begann, setzt sich nun in der Manipulation des Kreatürlichen fort – nicht nur im Bild. Denn Vorahmung und Nachahmung sind in der computergestützten Genese künstlichen Lebens nicht mehr zu trennen. Die Gentechnologie erzeugt Kühe, die, erst einmal in die Welt gesetzt, wieder zum Abbild werden. Doch wovon? Sie sind im Grunde nur noch ein Interface. Was die Gentechnologie in situ macht, das veranstaltet Dlugos mit den Bildern. Ihre Bilder liefern Anschauungsmaterial für drängende Fragen, sie verunsichern, stellen Glaubwürdigkeit und Authentizität in Frage, zeigen aber letztlich doch eine tröstliche Gewißheit an: die Natur ist schöner als ihre technisch unzureichende Simulation – jedenfalls solange, wie uns die Unterscheidung noch gelingt.“

Ronald Berg, Ausstellungsrezension in „Zitty 5/95“ Berlin, 1995

 

Strange Images

An image is more than what is seen. This trivial observation has a particular significance at a time when images are processed digitally. The development of these techniques has extended the field of perception which a photographic image constructs for itself to include dimensions far beyond man’s perception: the image has become autonomous reality. A significant

part in this has been played by the digital revolution, during which the autonomy of the photographic image changed from an analogous medium into the digital concept.

On different levels, the photographic works of Caroline Dlugos are both a concrete representation and an inherent criticism of these developments. In representation, they refer back to a classical topos of Occidental painting, to that of landscape painting. Depictions of landscape by Caroline Dlugos, which are based on a plein air photography rather than plein air painting, reveal this topos as a specific instrument of perception and interpretation, whereby both refer not only to direct perception, but also to perception conveyed by media. Conveyed in this way, classical painting, analogous photography and digital image construction combine to create one complex of elements referring to and commenting upon each other. The craft of painting finds a technical counterpart in analogous photography, and its continued processing culminates in the artificial worlds of today’s computer generated images. Nature is depicted with the aid of technological means. The artist sees an analogy to modern genetic technology in this conversion; both being reproductions of the natural: If Analogies can be made between a computer language and the informational chain in a gene. These days genetic technology is so advanced that it can decode and rewrite a genetic text. In this way, it is capable of setting both beneficial and fatal processes in motion. I am trying to work systematically through this wide-ranging set of problems employing images. To do so, I am using computer programs which – in analogy to genetic texts – digitally construct plant structures. More or less detailed botanical features can be taken as a basis and corresponding simulations of plant growth – including chance factors – can be created. These artificially conceived plants are transplanted into the landscape as it was originally photographed.“1) An image emerges from this process in which the boundaries between the natural and the artificial have been abolished. The viewer himself is challenged to identify this boundary, and he will detect it wavering across the basic dividing line between the fictive and the real. Denoted by the key word „simulation,“ this dividing line has become a theme within post-modern philosophy. Jean Baudrillard wrote: „Today, abstraction no longer functions according to the pattern of the map, the duplicate, the mirror and the concept. And simulation no longer refers to a territory, a referential being or to a substance. Far more, it makes use of various models to generate something real without origin or reality, that is, if generates the hyperreal.“2) Nothing evades this sphere of hyperrealism, whether it be people, images or nature. However, Baudrillard does see solutions: on the one hand, simulation may be answered with strategies of simulation, with the ecstasy of the real in hyperrealism. Another answer lies in the neutralization of semblance in seduction, that is, in a game with the simulating. This gesture of seduction, of a game with semblance, can be discovered in these works by Caroline Dlugos. What is visible in them is equivocal, ambiguous; a complex of natural and pictorial worlds referring back to classical and contemporary image patterns.“Seduction comes about by means of empty, iIIegible, insoluble, arbitrary and unpredictable signs, which are scarceIy noticeable, but which alter spatial perspective.“3) This applies to the photographic cycle „From Strange Gardens“ by Caroline Dlugos, which attracts and seduces the viewer with its irritating beauty of alien, unfamiliar images. Real images, and yet at the same time proving to be only semblance in the course of contemplation, these works undertake a deconstruction of the real, nonetheless keeping alive the dream of a natural world beyond simulation and construction.

Thomas Wulffen, exhibition catalog „Aus Fremden Gärten – From Strange Gardens“ Goethe Institut Atlanta, München-Atlanta 1996. (Translation: Lucinda Rennison)

1) Caroline Dlugos, unpublished statement, 1985.  •  2) Jean Boudrillard, Agonie des Realen Berlin, 1978. p.7  •  3) Jean Boudrillard, Laßt euch nicht verführen!, Berlin, 1983. p. 39